Hauptlehrer Enners: 
Aus einem 45jährigen Schulleben

 - Entnommen aus der Schulchronik von Niederdresselndorf -


Vorbemerkung: Der Bericht des Hauptlehrer Enners umfaßt neben dem geschichtlichen Aspekt auch die schulpolitische Situation und das gespannten Verhältnis zwischen Kirche und der Institution Schule. Die Hauptpassagen berichten einseitig aus der Sicht des Hauptlehres Enners den Weg der Los-Lösung der Schule von der Einflußnahme der Kirche. Um eine voreingenommene Sicht der damaligen Verhältnisse zu vermeiden, beschränken sich die ausgewählten Passagen auf andere, geschichtlich interessante Vorkommnisse der Schulchronik.

Aus einem fast 45jährigen Schulleben vom 04.07.1910 - 31.03.1955
Beim Eintritt in meinen ersten Schuldienst am 04.07.1910 war die Schule 3. klassig mit 2 Lehrern. Es war ein sehr ungünstiges System. Durch den häufigen Lehrerwechsel, bedingt durch die schlechte Besoldung der Lehrer überhaupt, dazu als Landlehrer, trat ein häufiger Lehrerwechsel ein, der die Schulverhältnisse noch ungünstiger gestaltete, als sie ohnehin schon waren. Die Gemeinde bezahlte den jungen Lehrern statt 4/5 des Grundgehaltes 6/7, um dadurch zu versuchen, die Lehrer ansässiger zu halten. Wenn auch der Lehrerwechsel nicht mehr so stark war wie vordem, so bliebe unser System trotzdem ungünstig, weil die 64 Unterrichtsstunden der beiden Lehrkräfte sich auf drei Klassen verteilten. Kl. III (1.und 2. Schuljahr) bekam 12 Wochenstunden, Kl. II (3.-5. Schj.) erhielt 24 Std. und Kl. I (6.-8. Schj.) 28 Stunden.

Als im August 1914 der Weltkrieg ausbrach und Herr Kuhlmann zum Kriegsdienst eingezogen wurde, stand ich allein mit 3 Klassen mit einer Gesamtschulzahl von rund 150. Die Folge war die Verkürzung der Wochenstundenzahl für die Klassen um die Hälfte. Das Bildungsniveau der Schüler sank von Jahr zu Jahr mehr und mehr. Dazu kam, daß die Schüler durch Sammeln von Metallen, Laubheu, Heilpflanzen u.v.m. für den Kriegsdienst angesetzt wurden und diese Sammlungen noch zum Teil während der Schulzeit gemacht wurden. Obendrein wurde ich von April bis August 1916 als Armierungssoldat eingezogen. Vertretung kam von Schule Niederdresselndorf. Gleich nach meiner Einstellung als Lehrer im Jahr 1910 hatte ich den ungeteilten Unterricht eingeführt. Stillschweigend erhielt ich die Stundenpläne genehmigt. Weil gerade während des Krieges die Kinder stark zu landwirtschaftlichen Arbeiten herangezogen wurden mußten, kam uns der ungeteilte Unterricht zugute. Obligatorisch wurde dieser Unterricht erst nach dem 1.: Weltkrieg. Erst, als am 1. Oktober 1920 die 3. Lehrerstelle eingerichtet wurde, steigerte sich das Bildungsniveau an unserer Schule wesentlich. Als nun der II. Weltkrieg ausbrach, wurde Herr Lehrer Schlingmann zwar sofort dienstpflichtig, doch wirkte sich das Fehlen von einer Lehrkraft von dreien nicht so stark aus wie beim I. Weltkrieg. Diesmal hielten zwei Lehrkräfte den Unterricht ab. Die technischen Fächer wurden stark gekürzt zugunsten der Kl. III (1.+2. Schj.) damit eine gute Grundlage für die nächsten Jahrgänge nach oben geschafften werden konnte. Zwar mußten die Kinder wie zur Zeit des I. Weltkrieges Metalle sammeln, wie auch Laubheu und Heilpflanzen suchen, doch bliebe die Schule diesmal immer noch Schule. Erst gegen Schluß des Krieges mußte der Unterricht der Fliegergefahr wegen öfters ausgesetzt werden.

Ganz ausgesetzt wurde de Schule einige Tage vor dem Einmarsch der Amerikaner in den Hickengrund. In dem Eisenbahnabschnitt „In der Hoor“ stand ein Güterzug mit Flackmunition. Weitere Güterzüge befanden sich auf der entgegengesetzten Talseite bis unterhalb Holzhausen nach Allendorf sich hinstreckend. Die Züge wurden von Fliegern beschossen und mit Bomben beworfen. Dabei wurden bei uns im Dorf sechs (6) Häuser getroffen. Bei fünf (5) Häusern brannte nur der Dachstuhl ab; das sechste Haus brannte völlig ab. Um den betroffenen Familien gleich eine Unterkunft geben zu können, wurde für zwei davon ein Schulsaal geräumt.

Die Amerikaner waren inzwischen (27.03.1945) über den Westerwald bis dicht an Oberdresselndorf und Lützeln vorgedrungen. Die deutschen Truppen hatten sich auf die Kalteiche und in Richtung Haiger zurückgezogen. Nur noch Kleine motorisierte Gruppen wurden an diesem Tage durch amerikanische Flieger stark bedrängt. Durch Bombenabwurf fielen davon in der Struth vier (4) Soldaten, die am 29. März auf dem hiesigen Friedhof beerdigt wurden. Tagszuvor marschierten die Amerikaner im Dorfe ein.

Am 30. März 1945, zwei Tage nach dem Einmarsch der Amerikaner, wurde ich zum Bürgermeister der hiesigen Gmeinde ernannt und dabei mit den größten und weitgehendsten Vollmachten ausgestattet. Nachdem später die Zivilverwaltung wieder eingerichtet war (Landratsamt), wurden von ihr die Vollmachten bestätigt. Erst Ende September konnte ich das Amt einem Mann aus dem Dorfe, der auch keine Parteimitglied gewesen war, abtreten. Das Maß der Arbeit für einen Bürgermeister war in den anfangs so schweren Wochen und Monaten so umfangreich geworden, dasß sie ohne verschiedene Hilfskräfte nicht zu bewältigen war.

Seit dem Einmarch der Alliierten blieben die Schulen im Lande geschlossen. Bald darauf wurden sämtliche Lehrkräfte aus politischen Gründen suspendiert. Ihre Wiedereinstellung dauerte je nach parteipolitischer Funktion der einzelnen Lerhpersonen in der National Sozialistischen Deutschen Arbeiter Partei (N.S.D.A.P) Einige Monate oder eine Reihe von Jahren, ja sogar erfolgte Pensionierung oder Entlassung bei schlimmen Fällen. Lehrer und Polizei wurden politisch viel zu schwer belastet. Es wurde Herbst 1945, ehe die Schulen nur langsam wieder in Betrieb kamen. Hier in Niederdresselndorf begann der Unterricht am 6. September.

Erst als ich im Sommer 1945 das bis zu dieser Zeit geführte Standesamt an einen Privatmann aus dem Dorfe übertragen konnte, war es mir möglich, mich wieder ganzer Kraft der Schule zu widmen. Da Herr Lehrer Schlingmann in Rumänien an einer schweren Verwundung gestorben war, wurde die vakante Lehrerstelle des Lehrermangels wegen erst am 01.04.1947 durch Herrn Lehrer Weidt besetzt. Durch die hohe Zahl der Evakuierten und Ostflüchtlinge, die im Dorfe untergebracht worden waren, war auch die Zahl der Schulkinder beträchtlich gestiegen. Die bis dahin dreiklassige Schule mußte in eine vierklassige umgewandelt werden. Die höchste Kinderzahl betrug 184. Vom 01.04.1950 bis zum 01.04.1953 war die Schule vierklassig. Zur Zeit (1955, A.d.R.) ist die Schülerzahl rund 120...

Wenn sich nun heute für mich die Schultür für immer schließt, so wünsche und hoffe ich, daß der Zeitpunkt nicht mehr lange auf sich warten läßt, das Schule und Kirche nicht über- und untergeordnet, sondern nebengeordnet und miteinander, gemeinsam mit den Eltern, als den natülichen Erziehern ihrer Kinder, die Jugend versucht zu sittlich-religiösen Charakteren zu erziehen, und daß die jeweiligen politischen Regierungsparteien mtihelfen, die Jugend zu tüchtigen und edlen Staatsbürgern heranzubilden zum Wohle des Einzelnen, zum Wohle des Volkes und zum Wohle und Frieden der ganzen Menschheit.

Niederdresselndorf, den 31. März 1955

Hauptlehrer Enners


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