Hickengrund - Heckengrund
- Lars Müller, Berlin -
Existierte bis vor 200 Jahren eine mittelalterliche Befestigungsanlage,
die den gesamten Hickengrund einfaßte ?

Im Sommer 1998 fiel mir bei einem Besuch der Heimatstube im Dach der Haupt-/ Grundschule Holzhausen ein großes altes Katasterbuch mit Ledereinband auf, das zum überwiegenden Teil handschriftliche Tabellen enthielt, aber auch eingeklebte handgezeichnete Katasterpläne und 8 Lagepläne, die nicht nur originale Tuschezeichnungen waren, sondern auch noch 3farbig koloriert und aufwendig gestaltete Schriftfelder enthielten. Hieraus erschloß sich denn auch die Entstehungszeit des Katasters. Es handelt sich um ein Flurkataster, das die Wiesen- und Ackerflächen der Holzhäuser Bürger im Gebiet jenseits des Wetterbachs erfaßt und in Größe und Lage darstellt. Es wurde in den Jahren 1772/ 73 durch „Johann henerich ErdMann Feld Meßer Von Climbach Auff der Rabenau Aus dem Darmstöttischen“ angelegt, wie auf mehreren Schriftfeldern vermerkt ist und blieb danach für mindestens 50 Jahre in Benutzung.

Außer den über 400 Personennamen aus Holzhausen, Niederdresselndorf, Lützeln, Allendorf und Haiger finden sich in diesem Kataster, eine Reihe alter Flurbezeichnungen, die in den aktuellen Katasterplänen oder Forstkarten nicht mehr auftauchen. Mir fielen dabei eine Reihe von Bezeichnungen auf, die den Begriff Hecke enthalten „Au Bächer [Langenaubacher] Hecke“, „dorn hecke“, „Imese [?] hecke“, „döll Manns [Thielmanns] hecke“.

Nun finden sich seit langem immer wieder Artikel, in denen Heimatforscher darauf hinweisen, daß der Hickengrund in früheren Zeiten vollständig mit einer Hecke oder „Hege“ umgeben war, die den Bewohnern der vier Dörfer als eine Art Verteidigungsanlage diente. Vor diesem Hintergrund erscheinen mir auch weitere Flurbezeichnungen interessant, die in diesen Zusammenhang zu passen scheinen. So findet sich zum Beispiel ein „Leymochs [Leimbachs] Thor“ an der Stelle wo der alte Fahrweg nach Langenaubach die Gemarkungsgrenze erreicht oder der „heyger hells [jetzt Haigerheckels] Kopf“ am alten Fußweg von Holzhausen nach Haiger. Ob sich die Bezeichnung immer schon auf den kleinen Bergkegel bezog, der sich ca. 15 m über das anstehende Gelände erhebt, oder ursprünglich den Durchgang durch die Wehrhecke bezeichnete, der sich in dessen Nähe befand, bleibt Spekulation. Möglicherweise hat aber auch die Bezeichnung „Scheids Keppil“ am Fußweg nach Siegen ähnliche Bedeutung.

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Forsteinrichtungskarte der Gem. Burbach (Ausschnitt, ohne Maßstab)

Grau angelegt, die 1772 vorhandenen Waldstücke

Bei der Durchsicht weiterer Kartenwerke über den Hickengrund (hier das sog. Urkataster von 1836/37), fanden sich, entlang der Gemarkungsgrenzen, eine Vielzahl von Flurbezeichnungen, die den Begriff Hecke enthalten. So z. B. die Forsthecke und die Innebornshecke in Niederdresselndorf, die Dangelshecke, hinter der Hegg, in der Löhlenhecke, Brenders Heckelchen, hinter der Kirchenbaums Hecke, oberm Heckelchen in Oberdresselndorf und die Kalteborns Hecke in Lützeln.

Interessant sind auch Namen wie „im Langenbaum“ (so wurden häufig die mit Schlagbaum gesicherten Durchgänge bezeichnet, wie aus angrenzenden Regionen bekannt ist), vor dem Thorweg, beim Haigerschen Thor, vor der Mauer, beim Zollstock.

Besondere Beachtung verdient jedoch der „Wartheköppel“ rechts der Straße von Oberdresselndorf nach Liebenscheid. Solche „Warthen“ waren meist steinerne Turmbauten, die an Punkten von besonderer strategischer Bedeutung oder an Stellen, die besondere Übersicht über das umliegende Land boten, errichtet wurden und in unsicheren Zeiten von Wachposten besetzt werden konnten. Sie wurden im 14. und 15. Jahrhundert errichtet und behielten  zum Teil Ihre Bedeutung bis in die Zeit des 30jährigen Krieges. Steinbauten stellten in Zeiten, wo bis auf Kirchen und Burgen die meisten Häuser aus Holz oder Fachwerk erstellt wurden, eine nicht zu unterschätzende bauliche Anstrengung dar.

Siebel, der die Geschichte der Nassau - Siegener Landhecke beschreibt -diese schloß den Freien und den Hickengrund nicht ein- vermutet, daß die Siegener Landhecke, die fast das gesamte heutige Siegerland umschloß, durch zwei Warthen zusätzlich gesichert wurde. Sollte also oberhalb von Oberdresselndorf eine solche steinerne Warthe gestanden haben, stellt sich die Frage nach der Bedeutung dieser ansonsten relativ kleinen Verteidigungsanlage.

Doch bleiben wir zunächst bei dem, was andere bereits über die Hecken des Hickengrundes geschrieben haben. In der 1948 anläßlich des 900. Jahrestages der Haigerer Kirchenweihe erschienenen Festschrift schreibt der Heimatforscher Karl Löber aus Langenaubach:
" Die Landhegenforschung (Hauptlehrer Gail und der Verfasser) konnte nämlich die frühere Einfriedung des Hickengrundes durch je eine große in Wall und Graben liegende Landhege auf beiden Talseiten nachweisen. Danach war der Hickengrund durch eine gebückartige, als Grenzbefestigung dienende Hecke, ein Verhau schlechthin gesichert. Solche Landhegen finden sich vielfach in unserer Heimat an den Grenzen alter Ämter, landesherrlicher Gebiete und Stammesräume. Warum dem kleinen, nur 4 Dörfer umfassenden Gebiet ein solcher Grenzschutz gegeben wurde, erscheint vorläufig noch nicht klar."

Auch K.-W.- Dahm berichtet in der Festschrift zur Einweihung der Hickengrundhalle 1956 von dieser Landhege „Reste dieser Hege lassen sich noch an vielen Stellen deutlich erkennen“. An welcher Stelle K. Löber den Aufbau aus Wall und Graben erkunden oder wo K.-W.- Dahm die Reste noch deutlich erkennen konnte, erfahren wir leider nicht. Tatsache ist, daß durch die veränderten Bewirtschaftungsmethoden der Forst- und Haubergsflächen mit schwerem Gerät, Reste solcher Anlage in Kürze völlig verschwunden sein werden.

In benachbarten Gebieten ist die Lage teilweise etwas besser. Stellenweise beschäftigen sich engagierte Heimatforscher dort bereits seit über 100 Jahren mit der Auffindung, Erfassung und Erforschung solcher Verteidigungsanlagen. Dies ist häufig darin begründet, daß es sich dort um größere und aufwendigere Anlagen handelt, die auch heute oft über mehrere Kilometer deutlich sichtbar im Gelände zu verfolgen sind. So zum Beispiel die bereits erwähnte Landhecke, die das ehemalige Nassau - Siegen fast vollständig umgab. Mit ihren über 100 km Länge bildet sie eine beeindruckende Leistung der spätmittelalterlichen Bevölkerung. Je nach Geländeverlauf und Bedeutung der angrenzenden oder durchführenden Handels- und Verkehrswege zeigt sie verschiedene Ausbildungen mit Wällen und Gräben. An wichtigen Straßen finden sich bis zu 3 hintereinander liegende Wall-/ Grabenanlagen, die noch zusätzlich durch bastionsartige Ausbuchtungen, Lagerplätze und an wenigen Stellen auch durch steinerne Warthen oder Kanonen gesichert sein konnten.

In sicherem Gelände, das durch sumpfige Täler oder tiefe vorgelagerte Wälder, einen ausreichenden natürlichen Schutz hatte, wurde oft auf Wall und Graben verzichtet und man beschränkte sich auf die Anlage einer reinen Wehrhecke. In der bereits erwähnten Abhandlung von G. Siebel findet sich auch eine ausführliche Beschreibung einer solchen Wehrhecke. Man muß sich hier einen Niederwaldstreifen vorstellen, der zwischen 15 und 300 m tief sein konnte. Die Bäume auf diesem Waldstreifen mußten durch die Bewohner der anliegenden Dörfer in Abständen von 4 - 5 Jahren auf Mannshöhe gestutzt werden, wobei die tiefer liegenden Äste zu einem engen Gespinst, dem sogenannten „Gebück“ verflochten wurden. Dazwischen wurden Himbeer- und sonstige Dornenbüsche gepflanzt. Solche Wehrhecken bildeten zwar keinen undurchdringlichen Schutzwall, waren aber durchaus geeignet spontane Übergriffe marodierender Gruppen abzuhalten. Siebel vermutet, daß in Nassau - Siegen im 13. oder 14. Jahrhundert mit dem Bau entsprechender Anlagen vor allem an Zollstellen und Schlagbäumen begonnen wurde. Die Zusammenfassung in einer geschlossenen Anlage erfogte wahrscheinlich 1444 – 1449 im Zuge der Soester Fehde. Zur größten Bedeutung und gleichzeitig weitesten Ausbau gelangte die gesamte Anlage am Ende des 16. Jahrhunderts im Zusammenhang mit der oranischen Heeresreform. Einige Angehörigen des nassauischen Fürstenhauses hatten lange Zeit in den Niederlanden zugebracht und waren mit der fortschrittlichen niederländischen Wehrtechnik auf das Beste vertraut. Die niederländische Wehrtechnik war zu dieser Zeit die am weitesten entwickelte in Europa. Ähnliche Anlagen schützten damals auch Nassau Dillenburg und weite Teile des bergischen Landes.

Im Hickengrund düfte der Verlauf einer solchen Wehrhecke vor allem den Gemarkungsgrenzen auf den Bergrücken der umliegenden Berge gefolgt sein, wobei die Hecken vollständig auf Hickengründer Seite lagen und nicht etwa von andern Dörfern in entgegengesetzter Richtung genutzt werden konnte. Die Katasterpläne von 1772/73 bestätigen eine solche Aussage für die Gemarkung Holzhausen.

Im Zusammenhang mit der Frage der Entstehung der Wehrhecke ist noch auf den Tiergarten der Grafen von Oranien hinzuweisen. Bei diesem Tiergarten handelt es sich um ein umfriedetes Jagdrevier. Wir lesen erstmals in einer Regeste der Adeligen von Haiger aus dem Jahr 1349 von diesem Tiergarten. Wo er genau gelegen hat und welche Gebiete er umschloß, läßt sich schwer sagen. Erich Georg schrieb 1987 im Heimatspiegel, daß er ausschließlich auf Allendorfer Gebiet an der Holzhäuser Gemarkungsgrenze gelegen hat. Hier findet sich auch heute noch die Flurbezeichnung „Im Rehgarten“. Ebenso sicher schreibt aber K.W. Dahm in der Festschrift zur Einweihung der Hickengrundhalle, daß er große Teile des Hickengrundes umfaßte und bis nach Oberdresselndorf reichte. „Gegenüber der alten Mühle liegt der ehemalige fürstliche Pferdestall und nahebei sind auch die Jagdunterkünfte, die später dann zur Keimzelle Oberdresselndorfs wurden.“ Sollte er tatsächlich bereits um 1350 solche Ausmaße gehabt haben, könnten in einer etwa gleichzeitig begonnenen Wehrheckenanlage Teile dieser Umfassung integriert worden sein. Solange aber keine eindeutigen Quellen vorliegen, die Auskunft darüber geben, wo sich dieser Tiergarten genau befand und welche Gebiete er umschloß, begibt man sich hier auf das Feld der Spekulation.

Zum Abschluß möchte ich noch einen kurzen Artikel anfügen, der sich jetzt im Internet auf der Hickengrund-Homepage von Detlef Kretzer findet. Leider ist mir seine Quellle nicht bekannt, aber möglicherweise wird hier das Ende der mittelalterlichen Wehrhecken im Hickengrund beschrieben.

"Die Leute im Hickengrund, in den vier Ortschaften Ober- und Niederdresselndorf, Holzhausen und Lützeln, die sind von einem fremden Volksstamm und in der Vorzeit hier eingewandert. Sie bauten sich im Tale des Weiherbaches (dem von Liebenscheide herkommenden Quellarm des Haigerbachs) an und zogen um ihren Gau eine Hecke, so hoch und dicht, daß weder Raubtier noch Feind zu ihnen kam. Das Ländchen blieb für sich und hieß der Heggers- oder Hegengau, später Hickengrund. Die Leute waren an Gestalt, Mundart und Sitte anders als die Nachbarn. Ihre Art hat sich auch lange rein erhalten, sie heirateten nicht mit Leuten anderer Landstriche. Es war ein schöner, gerader Menschenschlag. Dabei sehr wanderlustig, die Männer in früheren Zeiten meist Fuhr- und Handelsleute, mancher hatte acht und mehr Pferde, sie kamen weit herum, bis nach Sachsen, Brabant und ins Braunschweigische. In der Franzosenzeit ist einmal ein feindlicher General vorübergezogen, der hat die Dörfer erst entdeckt, als er schon daran vorbei war und sich so darüber geärgert, daß er die Hecken abhauen ließ. Seitdem blieb der Hickengrund offen." [3]

Wieviel Wahres in diesem Artikel enthalten ist und wieviel davon ins Reich der Legende gehört, ist nicht genau auszumachen, sollte aber mit Franzosenzeit die Zeit um 1760 gemeint sein, als das Dillenburger Schloß von den Franzosen zerstört wurde, so wäre es gut möglich, daß 1772/73 bei der Aufstellung des erwähnten Katasters die Bezeichnungen der einzelnen Heckenabschnitte noch als Flurbezeichnungen Verwendung fanden, obwohl die eigentliche Anlage bereits nicht mehr vorhanden war. Wie dem auch sei, fest steht, daß der Bau und auch der Unterhalt einer solchen Wehrheckenanlage für die mittelalterliche Bevölkerung einen immensen Aufwand bedeutete. Es waren umfangreiche Erdbewegungen notwendig, aber vor allem die Anpflanzung und regelmäßige Pflege der eigentlichen Hecke erforderte einen hohen Personaleinsatz. Was war damals den Menschen so wichtig, dieses relativ kleine Gebiet mit einer eigenen Wehrhecke zu umschließen und möglicherweise mit einer steinernen Warte zu sichern? Wie war der genaue Verlauf im Gelände? Wie sah der genaue Aufbau der Anlage aus, mit Wall und Graben, oder nur mit einer Hecke? Wann war die Entstehungszeit, wie die zeitliche Entwicklung und wie das Ende der Anlage? Alle diese Fragen sollten bald geklärt werden. Schon heute sind im Gelände Reste der Anlage nicht mehr ohne Weiteres zu finden und falls überhaupt noch Reste existieren, dürfte es relativ aufwendig sein, diese schlüssig zu identifizieren und von anderen Erdbewegungen der letzten 100 Jahre zu unterscheiden. Um so wichtiger ist es, die noch verfügbaren Informationen und Hinweise jetzt zusammenzutragen, um sich ein Bild von der Art und Größe der Anlage zu machen.


Quellen:
[1] Dahm, Karl - Wilhelm; Die Hickengrund - Halle - ein Gemeinschaftswerk Festschrift zur Einweihung am 14. April 1956), S. 25
[2] Löber, Karl: Haiger und sein Raum (Festschrift zur Feier des 900. Jahrestages der Haigerer Kirchenweihe, Haiger 1948), S. 27
[3] Kretzer, Detlev, Sagen und Märchen in: „Hickengrund - Homepage“ http://www.hickengrund.de
[4] Georg, Erich, Auszüge aus den Regesten der Adeligen von Haiger und ihre Folgerungen für Holzhausen und den Hickengrund, (in: Heimatspiegel für Holzhausen Nr. 88, 1986), S. 3
[5] Siebel, Gustav, Die Nassau-Siegener Landhecken, in: Siegerländer Beiträge zur Geschichte und Landeskunde, Heft 12, 1963