Tiergeschichten aus Oberdresselndorf
- Horst Heimann -

Wir, die Heimanns, hatten in den Dreißiger Jahre einen Gickel (= Hahn) mit Hühnern. Dieses Volk brauchte, um richtig glücklich zu sein, eine möglichst große Miste sowie Erdreich mit Gras bewachsen, wo es Würmer und sonstiges Getier heraus scharren konnte.

 

Haus Otto Heimann

Für die Miste, auch Dunghaufen genannt, hielten wir 2-3 Kühe und l Rind.

Dieses Rind hieß deshalb so, weil es noch nicht "beim Ochsen" gewesen war. Der "Ochse" war in Wirklichkeit ein Bulle und wohnte beim "Schutze Otto" mit einem jüngeren Genossen im Bullenstall. Diese 2 Bullen waren für alle Kühe des Ortes zuständig. Für die Kühe aus Oberdresselndorf waren die beiden Bullen also sehr wichtig. Wenn es eine Kuh "überkam", mußte sie dorthin gebracht werden. Man brauchte die Kuh nicht zu treiben - sie hatten ihren eigenen "Antrieb". Vor dem Bullenstall von Schutze Otto war ein größerer Bereich etwa 2 m hoch ummauert. Der Otto löste beim betreffenden Bullen die Kette und der Bulle ging raus, seine Pflicht zu erfüllen... Nach 8-9 Monaten kam die Kuh zum Kalben. Noch einige Tage lang bekam das Kälbchen Milch noch direkt von der Kuh, später wurde die Milch dann in der Zentrifuge vom Rahm, also von ihrem Fett, getrennt. So blieb für das Kälbchen - und die Schweine - noch die sogenannte "Magermilch"; die aber doch noch so gut war, daß auch für uns noch so manches Süppchen gekocht wurde. Übrigens: In den Dreißiger Jahren Jahre war es den Bauern verboten, ihre Milch selbst zu verarbeiten. Sie sollte in Kannen gefüllt zur Sammelstelle gebracht werden. Von dort wurde sie zur Weiterverarbeitung nach Geisweid gefahren. Zurück bekam der Bauer die fast unbrauchbare Magermilch und soviel Molkereibutter wie ihm und seiner Familie auf Lebensmittelkarte zugestanden wurde. Der Ortsbauernführer mußte von jeder Zentrifuge im Ort entweder die Trommel oder ein anderes wichtiges Teil einziehen, so daß die Zentrifuge unbrauchbar wurde. Ein Teil der Maschinen blieb trotzdem in Betrieb. Nachbarn und Freunde halfen sich gegenseitig mit Ersatzteilen aus, und es wurde an so manch heimlichen Orten "durchgedreht", an der kaum Geräusche nach draußen drangen.

Das Vieh wurde von Amts wegen gezählt, und danach ergab sich die Menge an Fleisch, Milch, Wolle und Frucht welche dem Erzeuger als Verbraucher angerechnet wurde und welche Menge abgeliefert werden mußte.

Die Kühe, 2 "Fahrkühe" wurden vom Frühjahr bis zum Spätherbst zur Arbeit gebraucht. Normalerweise wurden - sobald morgens der Kuhhirte auf seinem Hom blies - die Kühe im Stall losgebunden, um mit dem Hirten und Hirtenhund die Viehweide aufzusuchen.

Abends bei der Rückkehr fanden fast alle Kühe wieder von alleine ihren Platz im Stall. Ab und an mußte dem Jungvieh etwas nachgeholfen werden.

Die Hühner konnten bis weit in die 40er Jahre sich recht frei bewegen. Unser Hahn führte seine Schar immer wieder auf die Nachbarsmiste von "Greise" - als wäre dort etwas besseres zu finden... Eckelches Betz, Sturms und Greise hielten ihre Hühner hinterm Haus, und auf ihren Misten vorm Haus brüstet sich ein fremder Gickel und macht mit seiner Hühnerschar allerhand Dreck! Unsere Hühnerschar mit Hahn verjagte man natürlich regelmäßig - aber verzieh ihnen. Das "über die Straße wechseln" war damals nicht gefährlich, weil selten ein Auto kam. Doch ab und an kam der Dr. Holz mit seinem offenen PKW angebraust, um Krankenbesuche im Ort zu machen. Dem Automobil waren die Hühner natürlich nicht gewachsen, so daß so manches Huhn auf der Straße sein kurzes Leben ließ. Eines unserer Hühner, welches über die Straße zu Krombachs Misthaufen wollte, wurde auf der Straße angefahren. Es überlebte zwar, behielt aber ein verkrüppeltes Bein. Es fraß kräftig, legte aber kein Ei mehr! Wir nannten es „ Humpelchen" - und dieses wurde das verwöhnteste Huhn was wir je hatten!

Das Humpelchen schaffte es zum Beispiel bei der Oma auf den Schoß zu kommen und es durfte als einzigstes Huhn bis in die Küche humpeln. Manchmal kamen gleich mehrere Hühner mit, dann jagte man die anderen fort, so daß in der Aufregung manches mal ein Häufchen Hühnerschiß auf dem frisch geputztem Steinfüßboden zurück blieb. Das Hühnervolk wurde draußen im Hof gefüttert.
Humpelchen durfte wegen seines sozialen Standes in der Hühnerhackordnung nur am Rande des Futterplatzes mit fressen. Die anderen Hühner "hackten" es, weil es eben anders war... Der Hahn blieb Neutral.